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Findling

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„Landschaft, sagen wir, entsteht, indem ein auf dem Erdboden ausgebreitetes Nebeneinander natürlicher Erscheinungen zu einer besonderen Art von Einheit zusammengefasst wird (...)“ (Georg Simmel, Philosophie der Landschaft, 1913)

 

Landschaft ist also kein natürliches Phänomen, keines, das einfach so da ist und dann vom Menschen als solches erkannt wird. Landschaft, selbstverständlich auf der Basis von natürlich existierenden, realen Phänomenen, ist das Ergebnis des Sehens des Menschen und von dessen kulturbedingten Vorbildungen. Je nachdem, wofür sich ein Mensch begeistert, wird er in der Landschaft, bei einem flanierenden Spaziergang oder zielgerichtetem Wandern Unterschiedliches vorfinden. Kein Wandernder wird mit den gleichen Eindrücken heimkehren wie ein anderer.

Jörn Bohr vergleicht in seinem Aufsatz „Über das Hinsehen und das Absehen von Landschaft“ den Prozess der räumlichen Abgrenzung, den ein Mensch bei der Betrachtung seines Umraumes unternimmt, mit einer künstlerischen Handlung im Kleinen.

Diesen Akt des Sehens zu unterbrechen, respektive zu stören, beabsichtigen wir mit unserem erratischen Block am Bergbach. Wir platzieren eine optische Unterbrechung in der wanderbar zu erschließenden Landschaft.

Für latent alpine Verhältnisse, wie sie in kleinen Ortschaften wie Bschlabs herrschen, gelangt man erstaunlich  gemütlich in die Umgebung der Arbeit. Je nach Anreise, die allerdings mit grösster Wahrscheinlichkeit motorisiert und mit vier Rädern erfolgt, ist es nur ein zehnminütiger Spaziergang hin zum Umfeld der Arbeit, die sich etwas unterhalb der oberen Häuseransammlung von Bschlabs an einem Bachlauf befindet. Die darüberliegenden Hänge, teils hausbestanden, bieten einen anderen Blick auf die Arbeit, als Felsbrocken unter vielen, als reflektierende Betonung eines Geländeabschnitts. Als gedachter Verweis sowohl auf die Folgen menschlichen Tuns als auch als Auslöser menschlichen Seh-Aktes.

Wo wir uns zumeist mit einer Reflektion zu dem von Menschenhand über die Topographie gelegten Netzwerk befassen, hinterlassen wir hier selbst Spuren.

 

Wir platzieren ein Gebilde aus Lein, Holz und Cyanotypie, der Versuch einer Projektionsfläche und eines optischen Stolpersteines in der Landschaft. Ein Gebilde, nicht gänzlich klar einzuordnen zwischen Gletscherdiorama im Panorama, Biwak oder eben Findling, einer vorgegriffenen Spur einer andauernden Epoche, die auf die rasant stattfindenden Veränderungen der Umwelt verweist.

 

Analog zu den im Alpenvorland und auch weiter nördlich hinterlassenen Findlingen, mitgerissenen Bestandteilen großer, bewegter Gesteinsmassen, platzieren wir einen Findling des menschlichen Tuns. Eines Tuns, auf dessen Hinterlassenschaften wir schließlich allerorten treffen. Ein Verweis, ein erratischer Block, der auf die actiones erratici (zumindest manchmal) des Menschen verweist, auf Flächenversiegelung, Flächennutzung und Umnutzung, auf einmal mit der Sense gemähte Bergwiesen, die nun aus der Nutzung herausgefallen sind. Der Stein eines Anstoßes über das Werden und Vergehen in der Landschaft zu reflektieren, das unabdingbar zu menschlicher und nicht-menschlicher Nutzung natürlicher Ressourcen gehört. Eine Nutzung, die allerdings wegen der zunehmenden Populationsdichte des Menschen, von einem vermeintlich grenzenlosen Wachstum in einen Zustand grenzenloser Kettenreaktionen führt.

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